Neues Memorandum zur Evidenz-basierten Medizin

Autor:innen: Bettina Schöne-Seifert, Norbert Schmacke

Januar 2023

In der Medizin sind Kausalitäts-Annahmen – hinsichtlich der Wirksamkeit von Behand­lungsmaßnahmen – von zentraler Bedeutung für die klinische Praxis und für deren Fortschritte. Dabei stammen die relevanten Wissens­bestände auch aus den angrenzenden naturwissenschaftlichen und psycho-sozialen Disziplinen. 

Der Einzug der sogenannten Evidenz-basierter Medizin (EBM) – wie er besonders seit den 1980er Jahren erfolgte – ist und war ein Riesenfortschritt, der medizinische Behandlungen entscheidend auch auf eine empirische Basis stellte: Schluss mit Maßnahmen, die bloß auf subjektiver ärztlicher Erfahrung oder Autorität beruhten, her mit aussagekräftigen klinischen Daten aus kontrollierten Studien.

Doch entgegen den ursprünglichen Vorstellungen der EBM-Pioniere ist es teilweise zu einer Verabsolutierung empirischer Studien und einer Verengung des Evidenzbegriffs gekommen zuungunsten anderer. Das hat mehrere problematische Folgen.

  • Erstens treten dadurch leicht die generelle und große Bedeutung, die Kenntnis und Verständnis von Kausalmechanismen für den medizinischen Fortschritt haben, in den Hintergrund.
  • Zweitens lässt sich das gute EBM-Image auch für Studien „kapern“, die bestimmte Behandlungsansätze – bei fundamentaler Inkompatibilität mit grundlegenden Annah­men der modernen Naturwissenschaften – als (schwach oder fraglich) wirksam aus­weisen. Dies entpuppt sich inzwischen als ein problematischer Nährboden für Alternativmedizin.            
  • Drittens wird zum Teil in Ermangelung kontrollierter klinischer Studien von dringlichen Maßnahmen abgeraten, für deren Wirksamkeit und Unschädlichkeit es aber durchaus relevante Evidenzen aus anderen Quellen gibt – so für das Anordnen einer Masken­pflicht zu Beginn der Corona-Pandemie. 

Vor diesem Hintergrund fordert der Münsteraner Kreis, dass bei der Beurteilung von Behandlungsansätzen immer auch Plausibilitätsüberlegungen (Stichwort: “Gesamt­evidenz“) einfließen müssen, die sich auch auf Grundkonzepte etwa der Biologie, Biochemie und Physiologie stützen. Im Fall von sogenannter Alternativmedizin muss sich die Wissenschaftsgemeinschaft auf diese wissenschaftliche Gesamtevidenz berufen. Entsprechend sollten Universitäten sinnlosen Studien Einhalt gebieten. Zudem sollte die Politik endlich aufhören, der Alternativmedizin einen (in wesentlichen Teilen lobby-gesteuerten) adelnden Sonderstatus zuzugestehen, der ihre Zulassungs­hürden privilegierend senkt.

Das gesamte Memorandum gibt es hier als pdf-Download.